Fachkräfte von weiter weg

Thüringens Ski-Nachwuchs muss nicht immer auch aus Thüringen kommen.

Beim Deutschen Biathlon-Schülercup mischen auch Athleten des WSV Oberhof vorne mit, die sportlich gerade erst am Rennsteig heimisch geworden sind.

VonKarsten Tischer

Oberhof –Die Beine von Samuel Kraatz hätte man sich beim Vorbeilaufen wahrscheinlich doch einmal genauer ansehen sollen, anstatt auf solche Sachen wie Treffsicherheit und Rundenzeiten zu achten. Denn in den Beinen steckt vielleicht das Geheimnis des Erfolgs des Nachwuchs-Biathleten. Glaubt zumindest ihr Besitzer und lacht ein bisschen, als man ihn nach dem ersten Rennen des Deutschen Schülercups in Oberhof danach fragt. Bis vor Kurzem waren die beiden Beine von Samuel Kraatz noch für etwas ganz anderes da: für das Mittelfeld des 1. FC Westheim. Westheim, das ist ein kleines Dorf südwestlich von Bad Kissingen. 744 Einwohner laut letzter Zählung. Die Männer-Mannschaft führt in der Kreisliga Rhön aktuell das Feld an, punktgleich mit dem SV Burgwallbach/Leutershausen. Bis vor Kurzem war Samuel Kraatz noch als Sechser im Mittelfeld des Westheimer Fußballnachwuchses unterwegs.

Doch vor gut zwei Jahren tauscht er den Rasen gegen Schnee. Kraatz steckt sich mit dem Biathlon-Virus an. Benedikt Doll soll hierbei die entscheidende Rolle gespielt haben, erzählt der Skijäger aus der Altersklasse 14. Als er den Weltmeister von 2017 im Fernsehen sieht, will der Bayer Kraatz das auch: „Ich wollte Biathlon mal ausprobieren. “Also fuhr er zum Probetraining des WSV Oberhof und überzeugte die Trainer auf Anhieb. Es folgte der Wechsel aufs Oberhofer Sportgymnasium.

Heute ist Fußball –bis auf ein paar wenige Gastauftritte im Sommer –passé. Und damit gewissermaßen auch der Mannschaftssport. Denn: In seiner Altersklasse ist Kraatz der einzige Junge in Oberhof. Trainiert wird mit drei Mädchen: Angelina Strobel, Antonia Schramm und Noelle Heisig.

Die fehlende männliche Konkurrenz scheint ihm nicht zu fehlen. Zum Schülercup-Heimspiel in Oberhof geht Kraatz als Zweiter der Gesamtwertung an den Start. Nur acht Zähler trennen ihn von Spitzenreiter Nils Gutmann aus Baden-Württemberg. Daraus werden in Oberhof 19 Zähler, weil Gutmann zwar im Einzelrennen schlechter, dafür aber im Techniksprint am zweiten Tag etliche Zähler gutmacht. Kraatz wird hier nur 15. Und trotzdem ist der Franke in Oberhofer Diensten in seiner Altersklasse der beste und einzige Thüringer Starter in den TopTen.

Unzertrennliches Trio

Der Bayer Samuel Kraatz ist nicht der einzige junge Skijäger, den es für den Sport an den Rennsteig gezogen hat. Die Duckes kamen gleich im Dreierpack nach Oberhof. Drei Schwestern, die offenbar nur schwer voneinander zu trennen sind. Das mag daran liegen, dass die beiden jüngeren, Inga und Mara, Zwillinge sind und die große Schwester Lina mit ihren 14 Jahren nur zwei Jahre älter ist. Aber eben wohl auch daran, weil der Skisport allen drei quasi in die Wiege gelegt wurde, obwohl ihr Heimatort Wandlitz für alles Mögliche, aber sicher nicht für Wintersport bekannt ist. Und trotzdem haben sich in der Region nördlich von Berlin Wintersportvereine ans Werk gemacht, die das eigene geografische Schicksal sportlich nehmen.

„Das mit dem Skifahren kommt hauptsächlich von Mama“, erklärt Lina Ducke die sportliche Familiengeschichte. Mama Ducke ist gebürtige Sächsin und bis heute –wie früher auch der Vater –Trainerin im Verein. Alle drei Schwestern starten in dieser Saison im Deutschen Schülercup.

Und doch haben sich in diesem Schuljahr ihre Wege getrennt. Lina Ducke ist nun nicht mehr in Brandenburg zu Hause, sondern im Sportgymnasium Oberhof. Besuche in Wandlitz sind seltener geworden. Umso herzlicher das Wiedersehen am Grenzadler: Ist das Rennen der jeweils anderen vorbei, wartet der Rest der Geschwister schon im Ziel. Familieneigenes Mentaltraining könnte man das nennen, wie sich die Duckes nach den Rennen sofort in die Arme schließen, Wangenküsse verteilen und praktische Tipps an die weitergeben, die noch an der Reihe sind.

Erst eine Stunde nach Mara und Inga muss Schwester Lina in die Loipe, ist aber dank ihrer zwei Vorläuferinnen schon ganz gut aufgeklärt über die Weltcup-Strecke am Grenzadler. „Die Strecke war sehr schwierig“, erzählt sie nach dem Rennen; „der Schnee sehr tief, ich bin ganz schön eingesunken“. Trotz zweier Schießfehler kommt Lina Ducke am ersten Tag noch auf Platz sechs ein. Am zweiten Tag wird es sogar Platz drei, sodass für das Schülercup-Finale Mitte März in Ruhpolding sogar noch der Gesamtsieg möglich ist.

Am Ende: Wie erstarrt bleibt Lina Ducke nach dem Zieleinlauf im Oberhofer Schnee liegen. Es ist der Preis für ein kraftraubendes Schülercup-Rennen, das ihr aber wichtige Punkte für die Gesamtwertung beschert. Noch hat die Biathletin vom WSV Oberhof Chancen auf den Gesamtsieg. Fotos: Gerhard König

Fußballerbeine: Vor gut zwei Jahren noch auf dem Rasen zu Hause, nun im Schnee von Oberhof. Samuel Kraatz ist bester TSV-Starter in seiner Altersklasse.

Brandenburger Familienbande für Team Thüringen: Nicht nur Lina Ducke(rechts) ist biathlonverrückt, sondern auch ihre beiden Schwestern Inga und Mara.

 

Freies Wort vom 23.02.2019