„Ich habe den Schalter rumgelegt“

Bei der JWM-Premiere der Nordischen Kombination für Mädchen in Lahti wird Maria Gerboth vom WSV Schmiedefeld Vierte. Aber diese „Holz-Medaille“ ist ein Riesenerfolg für sie. Von Ralf Brückner

Maria Gerboth

Stützerbach – Wie das eben so ist, wenn man erst mal nur in die Ergebnisliste guckt: „Bronze knapp verpasst“ hieß es vor ein paar Tagen, als Maria Gerboth bei der Junioren-WM in Lahti Vierte im Mädchen-Wettkampf der Nordischen Kombination geworden war. Und in der Tat: Zwischenzeitlich beim Fünf-Kilometer-Lauf sogar auf Rang drei gelegen, aber am Ende doch noch von einem „japanischen Laufwunder“ überholt und um ganze viereinhalb Sekunden auf Rang vier verwiesen – das klingt leicht enttäuschend.

Ist es aber ganz und gar nicht, und das wissen vor allem ihre Trainer zu würdigen: „Ich weiß: Wenn sie am Limit läuft, dann geht bei ihr auch nicht mehr und dann muss man sich auch nicht über die viereinhalb Sekunden ärgern. Schon gar nicht, wenn man sieht, wo sie im letzten Jahr noch gestanden hat“, meint ihr Oberhofer Stützpunkttrainer Werner Leipold. „Noch vor einem halben Jahr hätte keiner gesagt: Maria Gerboth wird mal die beste deutsche Kombiniererin“, würdigt auch Klaus Edelmann (Zella-Mehlis), DSV-Trainer für diese Disziplin, die in Lahti ihre JWM-Premiere feierte – mit Maria Gerboth als Vierte, drei weiteren deutschen Zweikämpferinnen auf den Rängen acht, neun und 22 sowie insgesamt 32 Starterinnen.

Jörg Brömel vom WSV Schmiedefeld schließlich, bei dem Maria Gerboth das Skispringen gelernt hat, geriet ins Schwärmen: „Ich habe ihren 87-Meter-Sprung im Livestream gesehen. Es war absolut beeindruckend.“ Nicht zuletzt wegen des fast fünf Meter hohen Luftstandes, den das zierliche 16-jährige Mädchen auf dieser Traditionsschanze so in etwa erreicht haben mag. Und Werner Leipold bemerkt verschmitzt: „Auf dieser Schanze bin ich bei der nordischen Ski-WM von 1978 im Training gesprungen. Ich habe Maria vorher gesagt, wie schön das dort ist...“

Maria Gerboth selbst bleibt relativ bescheiden: „Natürlich ist es schade wegen dieser viereinhalb Sekunden – aber ich kann mit Platz vier zufrieden sein.“ Denn was sie damit erreicht hat – die beste Deutsche ihrer Disziplin und zugleich der beste Thüringer bei dieser nordischen Ski-WM der Junioren gewesen zu sein –, das war bisher keineswegs typisch für ihre wintersportliche Laufbahn.

Urlaubserlebnis Nr. 1

 „Wir waren mal im Urlaub in Wernigerode, da habe ich gesehen, wie Mädchen von der Schanze gesprungen sind. Und da habe ich mir gesagt: Das will ich auch machen“, erzählt sie, wie die Skisprung-Begeisterung bei ihr gezündet hatte. „Meine Eltern waren einverstanden und es gab in meiner Klasse auch Jungs, die immer zum Training an die Schmiedefelder Schanzen abgeholt wurden. Da bin ich eben mitgefahren. Schnee und Skifahren mag ich sowieso. Aber Skispringen – das ist Adrenalin und der Kick schlechthin.“

Schritt für Schritt erklomm sie beim WSV Schmiedefeld alle Stufen des gerade aufblühenden Skispringens für Mädchen und Frauen – aber ein Siegertyp, der überall alles gewinnt, das war Maria Gerboth keineswegs. Recht oft standen etwa die „Marktiegel-Mädchen“ aus Lauscha vor ihr in den Ergebnislisten. Aber wichtiger als oberste Podestplätze war, dass sie in Schmiedefeld von Anfang an auch die Nordische Kombination betrieb.

„Das war sofort mein Ding: Man kann im Laufen noch einiges rausholen. Und ich laufe sehr gern.“ Zum Beispiel als regelmäßige Junior-Crosserin beim Rennsteiglauf und im letzten Jahr erstmals auch beim Halbmarathon. Ihr Schritt ans Sportgymnasium Oberhof vor drei Jahren geschah dann auch schon mit eindeutigem Blick auf die sich nun endlich auch international regende Nordische Kombination für Frauen.

„Die FIS ist bestrebt, diese letzte Männerdomäne im Skisport für Frauen zu öffnen“, beschreibt es Klaus Edelmann. „Aber wir hängen gegenüber dem Skispringen um zehn Jahre hinterher. Das betrifft auch den Kader: Im nächsten Winter werden wir voraussichtlich neun deutsche Kombiniererinnen sein, davon drei aus Thüringen. Und unsere älteste, Sophia Maurus aus Oberstdorf, ist Jahrgang 2001. Also würden wir zur WM 2021 in Oberstdorf fast nur mit Juniorinnen starten.“ Noch beschränkte sich zudem der Auftritt der Kombiniererinnen in Lahti auf ein einziges Rennen, jenen Gundersen mit fünf Kilometer Laufen. Für mehr hat das prall gefüllte nordische Wettkampfprogramm noch keinen Platz.

Maria Gerboths Weg in diese neue Wettkampfszene war indes keine glatte Asphaltstraße: „Vor anderthalb Jahren habe ich im Laufen noch Plätze eingebüßt, vor allem nach dem Wechsel zu den fünf Kilometern“, berichtet sie. Zudem war ein Sturz auf der Schanze in Garmisch Partenkirchen auch der Entwicklung im Springen nicht gerade förderlich.

Urlaubserlebnis Nr. 2

„Aber in diesem Sommer habe ich den Schalter rumgelegt“ – dieser Satz steht wie eine Eins und man kann die Genugtuung, mit der Maria Gerboth ihn ausspricht, geradezu mit Händen greifen. Änderungen im Schanzen Trainingsprogramm à la „geringfügige Änderungen mit großer Wirkung“ (Klaus Edelmann) waren da das eine.

Doch wie es halt so ist: Mitunter hilft auch der Zufall: „Ich habe im Urlaub mit meinen Eltern Gleitschirmfliegen gelernt“, erzählt sie. „Wir hatten das zuvor schon ein paar mal mit Tandemflügen ausprobiert. Ich bin da erst am Anfang, aber es hat mir schon viel Ruhe und Gelassenheit gebracht; dass man vom Skispringen auch mal loskommt und entspannt.“

Stützpunkttrainer Werner Leipold sieht aber noch mehr als nur den mentalen Aspekt: „Ein Skispringer muss irgendwann den Punkt finden, wenn er zum Fliegen übergeht. Ich glaube, dass das Gleitschirmfliegen ihr sehr geholfen hat, nicht mehr so verspannt zu springen, sondern Oberkörper und Arme nun so einzusetzen, dass am Ende damit Weite gemacht werden kann.“

Jedenfalls gab’s in diesem Winter nun mehr und mehr Erfolgsmeldungen: Sieg beim DSV-Jugendcup in Oberhof, COC in Otepää mit einstelligen Ergebnissen, erster Podestplatz beim Alpencup in Schonach, die JWM-Nominierung für Lahti und schließlich dort jener vierte Platz. „Sie hat unsere Geduld mit Leistung zurückgezahlt“, resümiert Werner Leipold und sieht sich mal wieder bestätigt: „Man muss auch mal zu jemandem stehen, wenn er ein Leistungstief durchläuft und es fast schon heißt: Das wird doch nichts mehr!“

Mit Startnummer und Platz vier: Maria Gerboth bei der Siegerehrung in Lahti. Die JWM-Medaillen gehen an dieNorwegerin Gyda Westvold Hansen (Silber) sowie an die Japanerinnen Ayane Miyazaki (Gold) und „Laufwunder“ (man beachte die Startnummer!) Anju Nakamura (Bronze). Fotos: Gerhard König, Thüringer Skiverband

 

Freies Wort vom 04.02.2019